Merkmal Dynamik

Die fraktale Fabrik ist nicht der erste Strukturierungsansatz. Bei dem herkömmlichen Konzept der Fertigungsstrukturierung ist die entscheidende Schwäche die Statik. Auch wenn das Produkt oder der Fertigungsprozeß sich verändert, wird nur selten die Fertigungsstruktur mitverändert. Im Gegensatz dazu wird von einem Fraktal verlangt, daß es die entscheidende Eigenschaft Vitalität aufweist.

Der aus der Biologie bzw. Medizin stammende Begriff der Vitalität kann mit den Ausdrücken 'Lebensfähigkeit', 'Lebenskraft' oder 'Lebendigkeit' umschrieben werden. Ursprünglich nur auf Lebewesen bezogen, kann man mit diesem Begriff aber auch die entsprechende Eigenschaft von intelligenten Systemen (Systeme, die adaptiv auf jeweilige Umgebungseinflüsse reagieren) anwenden. Grundlegend ist die Abkehr von eindimensional geprägten Betrachtungsweisen, wie z. B. Bilanzkennziffern, Gewinn- und Verlustrechnung oder Liquiditätsrechnung. Die Vitalität eines Unternehmens läßt sich über die Zeit mit folgenden Lebensphasen beschreiben: Konzeption - Realisierung - Reife - Optimierung - Alterung und Überalterung. Hier tritt wiederum das Phänomen der Selbstähnlichkeit zu Tage, da sich dieselben Stufen auch bei jedem Produkt feststellen lassen. So bedeutet etwa eine Marktsättigung nur, daß keine Innovation des Produktangebotes stattgefunden hat. Genauso muß auch in einem Unternehmen eine fortwährende Innovation erfolgen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Was ist jedoch unter der Dynamik eines Fraktals zu verstehen? Die Dynamik soll darauf hinweisen, daß sich die einzelnen Mitarbeiter bzw. Fraktale von selbst ohne äußeren Zwang dynamisch strukturieren, um dem Ganzen (=Unternehmen) von größerem Nutzen zu sein, bis letztendlich selbstähnlich dazu das ganze Unternehmen versucht, durch veränderte Produkte von größerem Nutzen für den Kunden zu sein. Dieser Mechanismus der dynamischen Strukturierung stützt sich im wesentlichen auf die Analyse des Beziehungsgeflechtes innerhalb und zwischen den Fraktalen. Solche Beziehungen umfassen viel mehr als bisher oft angenommen wird, wie z. B. Kultur, Strategie, Sozio-psychologische Elemente, Information, wirtschaftlich-finanzielle Elemente, sowie Prozeß- und Materialflüsse. Als Ordnungskriterien für die Strukturierung sind allerdings besonders wichtig: das Produkt, (ev. nur begrenzt vorhandene) Verfahrens- und Betriebsmittel, Materialfluß, Personalbedarf sowie Lern- und Erfahrungserfordernisse für bestimmte Aufgaben. Man sieht also aus dieser Vielzahl von Faktoren, daß im Vergleich zu traditionellen Strukturierungsansätzen der Betrachtungshorizont erheblich erweiter wird.

Betrachtet man die Fraktalbildung aus systemtheoretischer Sicht, so sind die Beziehungen innerhalb eines Fraktals stärker als nach außen hin und bewirken damit den Zusammenhalt der Einheit. Da diese Beziehungen aber einer zeitlichen Änderung unterliegen, ist es notwendig, daß sich Fraktale laufend anpassen, um die Kongruenz von Beziehungsstrukturen und formaler Organisation zu waren. Dies ist ein wesentlicher Faktor für die große Dynamik von Fraktalen.

Die Bildung von überschaubaren Unernehmeneinheiten ist ein erfolgversprechender Ansatz, um marktnah und reaktionsschnell agieren zu können. Im Extremfall führt dies bis zur rechtlichen Verselbständigung, also der Auflösung des Unternehmensverbundes. In der Praxis beobachtet man dies in der Regel bei großen Konglomeraten, die durch Diversifikation oder Akquisition entstanden sind. Dieser radikale Ansatz bleibt aber meist vor dem Fabrikstor stehen. Fraktale helfen, dieses Prinzip selbstähnlich zur Makrostruktur auch innerhalb der Fabrik umzusetzen.